Ende der 1990er Jahre war die Liberalisierung das zentrale Thema in der Energiewirtschaft. Die großen etablierten Unternehmen wie auch die Stadtwerke schauten gebannt darauf, welche Wettbewerber neu „auf den Plan“ kommen. Einer der ersten war die schon damals in Potsdam ansässige natGAS AG. Im Jahr 2000 starteten die Geschäftsaktivitäten des Unternehmens. Ein Insider schilderte uns dazu einige Details.

Auf einer Pressekonferenz am 31. Oktober 2000 präsentierte sich das Unternehmen vor zahlreichen Journalisten erstmals der breiten Öffentlichkeit. Das Geschäftsmodell war die Beschaffung und der Vertrieb von Erdgas, wobei natGAS auf Kostenvorteile beim Einkauf und Flexibilität beim Vertrieb setzte. Die Ziele waren ambitioniert. Ole Bested Hensing, der erste Sprecher des Vorstandes des jungen Unternehmens, gab die Marschrichtung vor. In den nächsten fünf Jahren sollte zusammen mit Vertriebspartnern deutlich mehr als eine Milliarde Kilowattstunden abgesetzt werden. Gastartet wurde  im Jahr 2000 mit ersten Industrie- und Gewerbekunden, deren Zahl allerdings recht überschaubar blieb. Ein Jahr später ging man auf die Haushaltskunden zu, mit dem Ziel innerhalb von fünf Jahren rund 200.000 Kunden zu gewinnen. Das Geschäftsmodell war plausibel, das Team engagiert, aber die Hürden durch die großen Versorgungsunternehmen hoch. Heute kaum noch vorstellbar, wie schwierig es damals war, Gas zu wettbewerbsfähigen Konditionen zu beschaffen. Auch die „Durchleitung“ war alles andere als ein Selbstläufer, was allerdings dazu führte, dass natGAS für einen Newcomer schon früh ein beachtliches Know-how in diesem Bereich aufbaute.

Viele Wechsel…

Die Phase Ole Bested Hensing endete recht schnell im Januar 2002. Neu ins Boot gekommen war Jörg Bauth, der – unterstützt von öfters wechselnden Vorstandskollegen – bis 2018 zuerst als Sprecher, dann als Alleinvorstand die Geschicke des Unternehmens leitete. Dabei ist erstaunlich, dass dem abrupten Abgang Ende Juni kurz vorher noch eine Vertragsverlängerung bis 2024 vorausgegangen war. Es kursiert der Vorwurf, dass man dem Vorstand zu lange das Vertrauen geschenkt und zu spät erkannt habe, dass er mit der Führung der Gesellschaft im aktuellen, sehr schwierigen Marktumfeld überfordert war. Hier stellt sich die Frage, ob der Aufsichtsrat getäuscht wurde oder einfach seine „Hausaufgaben“ nicht gemacht hat. Übrigens: Häufige personelle Veränderungen gab es nicht nur auf Vorstandsebene, sondern in nahezu allen Bereichen des Unternehmens.

Zur wirtschaftlichen Situation von natGAS war lange Jahre wenig zu erfahren. Es hieß stets, die Geschäfte laufen gut, doch Transparenz sieht anders aus. Kein Geschäftsbericht, keine Pressemeldungen. Einzig über Pflichtveröffentlichungen im Bundesanzeiger war zu erkennen, dass den hohen Umsätzen (aufgrund der gehandelten Energiemengen) nur geringe Erträge gegenüberstanden. Der alleinige Verkauf von Erdgas an Industriekunden und Privathaushalte konnte es also auf längere Sicht nicht sein. Dementsprechend wurden stetig neue Geschäftsfelder eröffnet: Einstieg in den Strommarkt, Energiebeschaffung als Dienstleistung, Portfolio-Optimierung oder Direktvermarktung. Nur das Geschäft mit den Privatkunden blieb auf der „Strecke“.

… wenig Ertrag

Die letzten Jahre haben wir wenig von natGAS gehört. Ein Auftritt auf der e-world, ein kurzes Gespräch, bei dem die gute Geschäftslage betont wurde, das war es. Nachdem Marquard & Bahls, einer der Gründungsgesellschafter des Unternehmens, vor kurzen seine Anteile verkauft hatte, deutete sich an, dass man seitens der Anteileigner die Lust verliert und nicht mehr so richtig an die Zukunft der AG glaubt. Jetzt kam am 27. September die Nachricht der Insolvenz. Schade, damit ist ein Stück Wettbewerb weggebrochen. Andererseits hatten wir aus unserer externen Beobachterposition über die Jahre den Eindruck, dass sich natGAS – trotz Know-how – nie als feste Größe im Markt durchsetzen konnte. Aus der angestrebten Terawattstunde Erdgas sind nach Unternehmensangaben im Geschäftsjahr 2018 ca. 165 Terawattstunden (TWh) Gas und Strom geworden. Der überwiegend handelsbasierte Umsatz betrug mehr als 3,6 Milliarden Euro. Was nutzt es, wenn der Ertrag nicht stimmt: Laut Bundesanzeiger wurde für das Jahr 2016 letztmalig ein Jahresüberschuss von rd. 650.000 Euro ausgewiesen.

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