Dass Theorie und Praxis oft meilenweit auseinander liegen, ist eine Binsenweisheit. Vor allem in Wirtschaft und Marketing kann man sie trotzdem nicht oft genug in Erinnerung bringen. Anlass dazu liefert ein Artikel in der emw (Heft 5/12) zum Thema „Open Innovation“. Was dort als neuer Ansatz für Innovationsmanagement und Imageverbesserung gepriesen wird, ist in der Praxis bei Stadtwerken kaum durchführbar.

Es geht um Kundenbindung und Kundengewinnung, verrät der Einleitungstext. Wir hoffen also auf prima Anregungen. Der Grundgedanke: Wenn Sie Ihre Marktposition durch neue Angebote und Services verbessern wollen, sprechen Sie mit Ihren Kunden und Lieferanten, was die sich von Ihrem Unternehmen wünschen. Das ist nicht neu. Für jedes Unternehmen ist Austausch mit Kunden und Lieferanten lebensnotwendig – eben auch für Stadtwerke.

Methoden müssen sich an Unternehmensgröße und -ausrichtung orientieren

„Open Innovation“ soll vor allem eine Methode sein, systematisch marktgerechte Innovationen zu entwickeln. Übersetzt man allerdings die pseudowissenschaftliche Terminologie, so verbirgt sich für den Praktiker dahinter nichts wirklich Neues.

Der zentrale Gedanke: Zunächst soll es darum gehen, Lead-User, früher auch Meinungsbildner genannt, zu identifizieren. Danach sollte man mit diesen möglichst intensiv reden.

In der Praxis ein extrem zeitaufwändiger Prozess, der leicht einen kleinen sechsstelligen Betrag kosten kann – ohne den internen Personal- und Zeitaufwand.

Welches Stadtwerk kann sich das leisten? Oder besser: Welchem Geschäftsführer, Marketingmanager und Vertriebsleiter bei den Stadtwerken fallen nicht sofort einige Dinge ein, für die er dieses Geld gewinnbringend einsetzen könnte?

Strom bleibt Strom und Gas bleibt Gas

Lead-User sind als eher visionäre Meinungsbildner charakterisiert. Sie systematisch in Marktforschung und innovative Produktentwicklungsprozesse einzubinden, ist daher eher in Märkten mit klar definierten Kernzielgruppen – etwa im Automobil- oder Smartphone-Markt –  sinnvoll und tatsächlich auch Standard. In einem heterogenen Endverbraucher-Markt, wie ihn die Stadtwerke bedienen, sind diese Lead-User weniger hilfreich.

Wichtiger ist hier der Durchschnitts-User oder besser, der ganz normale Haushaltskunde sowie das örtliche Gewerbe. Beide sind schließlich die Basis des Stadtwerke-Geschäfts.

Die günstige Alternative

Ein kurzer Blick in Foren, Facebook Diskussionsrunden und ihre eigene Kundenpost fördert nahezu kostenlos und vor allem sofort Anregungen für Produkt und Service-Verbesserungen zu Tage.

Es sind unter anderem die folgenden Kundenwünsche: „Ich will es billiger“ und „Ich will es grüner.“ An beidem können Stadtwerke nur eingeschränkt etwas verändern.

Spannend wird es allerdings, wenn man sich mit den weiteren „Begehrlichkeiten“ beschäftigt. Denn hier liegt noch jede Menge Optimierungspotential:

„Ich verstehe meine Abrechnung nicht.“ „Ich verstehe die Unterschiede zwischen den Tarifen nicht.“ „Ich finde auf der Website nicht das, was ich suche.“ „Die Öffnungszeiten des Kundencenters machen es mir unmöglich da vorbei zu gehen.“ „Am Service-Telefon muss ich zu lange warten.“ „Mir fehlen echte Stromspar-Tipps für den Alltag.“ „Erreiche ich jemanden am Service-Telefon, kann die Person mir nicht helfen.“ „Wer hilft mir bei Solaranlagen auf dem Dach?“ und und und.

Die Reihenfolge und Gewichtung dieser Aussagen sind sicher von Stadtwerk zu Stadtwerk verschieden. Sie liefern aber in jedem Fall die entscheidenden Hinweise,  wo der Schlüssel zur Kundenbindung und Neukundengewinnung zu finden ist.

Fazit

Stadtwerke von heute sind nicht von gestern! Sie wissen ziemlich genau, wo der „Hase im Pfeffer“ liegt. Oder was welche Kunden sich wirklich wünschen. Eine systematische Aus- und Bewertung aller Kundenkontaktpunkte macht`s möglich. Hier liegt die praktische  Grundlage für innovative Produktentwicklung.  Und weniger in Kreativitätstechniken visionärer Lead-User im Rahmen eines Open-Innovation  oder Closed-Innovation – Modells.

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